Über die Tücken jamaikanischer Grundregeln und andere Besonderheiten
Die jamaikanische Grundregel „soon come“ gilt natürlich auch für den Fußball. Es passiert alles, es wird alles erledigt, nur wann ist die Frage. So hätte es eigentlich nicht verwundern sollen, dass das Viertelfinalspiel im „Flow Champions Cup“ zwischen Erstliga-Tabellenführer Harbour View FC und Mittelständler St. Georges FC nicht wie überall angekündigt um 18 Uhr, sondern erst eine Stunde später begann. Hat es aber, zu den Auswirkungen dieses Faux-pas später.
So blieb nach dem Erstehen der Eintrittskarte, die ursprünglich für ein Länderspiel vor drei Jahren gedruckt wurde, für umgerechnet 2,50 Euro noch genug Zeit das 7.000er-Stadion zu inspizieren. Als einziger Tourist bleibt man dabei nicht lange allein, Groundhopping dürfte in Jamaika noch keine ausgewachsene Disziplin sein. Die Verwunderung, dass ein Fußballspiel einen Ausländer in die Vorstadt von Kingston verschlägt, ist spürbar. Das tut der Freundlichkeit jedoch keinen Abbruch und bald sind Informationen über Tabellenstand, Ausgangsposition und Publikumslieblinge eingeholt.
Die Wartezeit auf den Anpfiff wird schließlich noch von einer ausführlichen Einleitung durch den Stadionsprecher verkürzt, der den kürzlich in der Gemeinde verstorbenen die Ehre erweist und die Lokalprominenz, die beide Mannschaften per Handschlag begrüßt, vorstellt. Wie in vielen Ländern darf auch in Jamaika vor einem Cupspiel die Nationalhymne nicht fehlen, es handelt sich allerdings nicht um ein Reggae-Tune. Der Cupbewerb dürfte etwa so beliebt sein wie in Österreich, optimistisch geschätzte 1.000 Zuschauer sind gekommen.
Als es dann endlich losgeht, legt der Außenseiter St. Georges mit großem Elan los und kommt zu ersten Halbchancen, was beim Publikum zu verhaltenen Unmutsäußerungen führt. Im Laufe der Partie erfängt sich Harbour View aber und übernimmt die Kontrolle. Chancen sind im Gegensatz zu Fouls Mangelware. Die Schiedsrichterentscheidungen werden von den Ganja-rauchenden männlichen Fans wesentlich gleichmütiger zur Kenntnis genommen als von den Frauen, die in hysterischem Geschrei ihr bemerkenswert reichhaltig gefülltes Beschimpfungsrepertoir auf den Schiedsrichter niederprasseln lassen. Das Niveau der Partie ist trotz einer sehr holprigen Spielwiese überraschend hoch, beide Teams hätten wohl kein Problem mindestens in Österreichs zweiter Spielklasse mitzuhalten. Als schon alles mit einem torlosen Pausentee rechnet, schießt Stürmer Jomo Gordon Harbour View kurz vor der Pause nach einer sehenswerten Kombination in Führung. Euphorischer Jubel ist die Folge, die Pausenunterhaltung in Form eines Hula-Hoop-Contests geht bei bester Stimmung über die Bühne.
Für mich ist der sehenswerte Contest aufgrund des zu Beginn erwähnten Faux-pas zugleich der finale Höhepunkt. Da ich mich in einer weitgehend Taxi-freien Gegend befinde und wenig Lust auf einen kilometerweiten Fußmarsch durch das nächtliche Kingston verspüre, beschließe ich den ursprünglich ausgemachten Treffpunkt mit dem Taxifahrer aufzusuchen. In der Zeitung meines Sitznachbarn im Bus lese ich am nächsten Tag, dass St. Georges die Sensation tatsächlich noch geschafft hat und in der Verlängerung mit 2:1 gewann. Das obwohl die Rot-Weißen in den letzten zehn Minuten noch zwei Spieler durch Gelb-rot verloren. Die Tiraden des weiblichen Publikums wären sicher sehenswert gewesen.